An virtuellen Avataren lernen, wie Menschen kommunizieren

CITEC-Projekt Soziale Motorik untersucht soziale Interaktionen durch Simulation von künstlichen Agenten

Ein Kopfnicken, den Zeigefinger am Mund, ein Zwinkern – das sind alles Gesten und Mimiken, die wir direkt, meist sogar unbewusst verstehen. Wie genau funktioniert die zwischenmenschliche nonverbale Kommunikation? Um das herauszufinden, forschen die CITEC-Wissenschaftler Professor Dr. Stefan Kopp und Sebastian Kahl in ihrem Projekt Soziale Motorik an virtuellen Avataren. Was für Menschen ganz selbstverständlich ist, muss virtuellen Agenten erst kleinschrittig beigebracht werden. Indem die Wissenschaftler den Lernprozess analysieren, erhalten sie auch neue Informationen über die menschlichen Prozesse bei Mimik und Gestik. Der Exzellenzcluster CITEC finanziert das Projekt bis Dezember 2018.

Nur mit Gesten kommunizieren der virtuelle humanoide Roboter Vince (links) und der künstliche Avatar Billie. Foto: CITEC/Universität Bielefeld „Billie kann auf Sprache reagieren und versteht Äußerungen wie Aha und M-hem, was im Projekt Kompass besonders wichtig ist. Im Sonderforschungs- bereich 673 „Alignment in Communication“ haben wir ihm beigebracht Sprache und Gesten koordiniert einzusetzen. Jetzt nutzen wir ihn im Projekt Soziale Motorik“, sagt Professor Dr. Stefan Kopp, Leiter des Projekts Soziale Motorik. „Billie kann schon die Hände bewegen, lächeln und nicken. Im nächsten Schritt bringen wir Avataren einen noch natürlicheren Umgang mit Gestik und Mimik bei.“ Dazu lassen Kopp und Kahl die beiden Avatare Vince und Billie unter anderem miteinander sprechen. Der virtuelle humanoide Roboter Vince ist bereits seit 2009 im Einsatz am CITEC.

Vince und Billie treffen dafür in einer Simulation aufeinander. Wie in einem Spiel muss der eine Avatar verstehen, was der andere ihm nonverbal sagen möchte. So macht Billie zum Beispiel eine Quadratbewegung vor und Vince muss erkennen, dass es sich dabei um ein Quadrat und nicht etwa um einen Kreis handelt und die Bewegung wiederholen. Die Wissenschaftler erschweren Billie und Vince das Kommunikationsspiel, indem sie die Gesten stören. Wenn die beiden Avatare sich dadurch nicht mehr verstehen, sollen sie die Probleme erkennen und selbstständig lösen. Sie agieren dabei weitgehend eigenständig und bestätigen mit Nicken oder Kopfschütteln. Damit sie tatsächlich miteinander reden, müssen sie sich angesprochen fühlen. Hierzu steuern die Wissenschaftler die Blicke der Avatare.

„Im Vordergrund unserer Forschung steht die Frage, wie Menschen verbal und nonverbal kommunizieren. Dafür baue ich die kognitiven Kommunikations-Fähigkeiten des Gehirns in einem Computermodell nach“, sagt Sebastian Kahl, der seine Doktorarbeit zu Sozialer Motorik verfasst. „Menschen haben zwei wichtige Fähigkeiten, die wir untersuchen. Einerseits können sie durch Spiegelneuronen intuitiv Gesten wie Winken, Lächeln und Nicken verstehen und erkennen, was ihnen ihr Gegenüber sagen möchte. Andererseits können Menschen quasi Gedanken lesen, indem sie sich vorstellen, was ihr Gesprächspartner gerade denkt oder empfindet. Diese Fähigkeit wird Theory of Mind genannt.“ Die Theorie ist nicht nur eine wissenschaftliche Beschreibung, sondern auch eine Fähigkeit, die Menschen in ihrem Kopf tragen. Durch die Fähigkeit der Theory of Mind sind Menschen in der Lage, Vorhersagen zu treffen oder die Sätze ihres Gegenübers zu beenden.

Damit Vince und Billie die Kunst der Theory of Mind erlernen konnten, haben Kopp und Kahl für beide ein eigenes Computermodell entwickelt. Mit diesem Modell können die Wissenschaftler genau sehen, wie gut die Kommunikation zwischen den virtuellen Avataren funktioniert. Für ihre Forschung greifen sie auf eigene Simulationsstudien zurück, die sie stetig weiterentwickeln. In Zukunft möchten die Wissenschaftler herausfinden, wie die Avatare beeinflusst werden, wenn sie ihr Gegenüber bereits kennen. Ob die Avatare selbst eine Geste verursacht haben oder ob es ihr Gesprächspartner gewesen ist, müssen Vince und Billie noch lernen. Bislang ist es oft wie bei einem Menschen mit schizophrener Störung, der nicht immer weiß, ob er selbst etwas getan hat oder ob er fremdgesteuert wurde. Diese Verwirrung der Avatare zu lösen, ist die nächste Herausforderung für Kopp und Kahl.

Stefan Kopp und Sebastian Kahl konnten mit ihren Forschungen bereits zeigen, dass die Theory of Mind erhebliche Auswirkungen für das Verstehen der Avatare hat. Je besser Billie und Vince vorhersehen können, was der andere möchte, desto leichter fällt ihnen ihre Kommunikation. Die Erkenntnisse aus ihren Simulationen haben die Wissenschaftler bereits auf mehreren Konferenzen vorgestellt. Für einen stärkeren Praxisbezug stehen Kopp und Kahl in engem Austausch mit Forscherinnen und Forschern des Uniklinikums Köln und dem Max Planck Institut in Tübingen. Durch ihre Forschung können Menschen in Zukunft leichter und genauer mit virtuellen Agenten kommunizieren.

Soziale Motorik ist eines von fünf kleinen „hochriskanten“ Forschungsprojekten am CITEC. In dieser Projektlinie befassen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit besonders innovativen und originellen Themen, bei denen der Ausgang noch offen ist. Neben den eher kleinen hochriskanten Projekten gibt es noch vier Großforschungsprojekte und acht interdisziplinäre Projekte. Darüber hinaus forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Graduiertenschule an innovativen individuellen Projekten.

Weitere Informationen im Internet:

Projektbeschreibung Social Motorics: https://cit-ec.de/en/social-motorics

Kontakt:

Prof. Dr.-Ing. Stefan Kopp, Universität Bielefeld
Leiter der Forschungsgruppe Kognitive Systeme und soziale Interaktion
Technische Fakultät und Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC)
Telefon: 0521 106-12144
E-Mail: skopp@techfak.uni-bielefeld.de