Mit Technik das eigene Leben im Griff

Ein virtueller Assistent, der hilft, den Tag zu organisieren. Eine Brille, die bei Tätigkeiten im Haushalt Tipps gibt, wenn einem nicht mehr einfällt, wie es weitergeht. Eine Wohnung, die im Notfall den Pflegedienst oder die Ärztin alarmiert. Seit 2011 kooperieren der Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) der Universität Bielefeld und die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel (vBS Bethel) als strategische Partner.

CITEC hat sich als Forschungseinrichtung auf technische Systeme wie Roboter und Avatare spezialisiert, die sich auf den Menschen einstellen und intuitiv bedienbar sind. Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel setzen sich seit fast 150 Jahren für Menschen ein, die auf Hilfe, Unterstützung oder Assistenz angewiesen sind und betreiben Dienste und Einrichtungen in acht Bundesländern. In ihren gemeinsamen Projekten entwickeln CITEC und Bethel Technik, die hilft, ein selbstbestimmtes Leben zu führen – insbesondere bei chronischer Krankheit, Behinderung oder im Alter.

Die neuen Systeme sollen die Nutzerinnen und Nutzer in ihrer selbstständigen Lebensführung unterstützen, aber auch in der Lage sein, Unterstützung anzufordern. Sie sind persönliche Assistenten und folgen den Anweisungen von Menschen, statt selbst vorzugeben, was zu tun ist. Der Clou: Die assistiven Technologien kennen die Eigenheiten ihrer Nutzerinnen und Nutzer, lernen dazu und reagieren individuell. 

Ein Grundgedanke der Kooperation ist, dass die Technik den Menschen nicht „verordnet“ wird. Vielmehr sollen sich die Ideen der Forschungseinrichtung CITEC an praktischen Bedürfnissen messen. Umgesetzt wird nur das, was sozial akzeptiert wird: Welche neue Technik wollen und können die Nutzerinnen und Nutzer in ihren Alltag übernehmen? Dabei geht es einerseits um die Menschen, die in den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel begleitet werden und ihre Angehörigen. Andererseits geht es um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der vBS Bethel, die mit neuen technischen Möglichkeiten entlastet werden sollen.

Bundesweit berichteten die Medien über ein Großprojekt, in dem CITEC und die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel mit zwölf weiteren regionalen Partnern an einer intelligenten Wohnung arbeiten. Das Projekt trägt den Namen KogniHome, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert diesen Innovationscluster von 2014 bis 2017.

Im Oktober 2015 wurde KogniHome als Preisträger im bundesweiten Wettbewerb „Deutschland – Land der Ideen“ ausgezeichnet. Die in der Wohnung eingebaute Technik „denkt“ mit, gibt ihren Bewohnern Ratschläge zu gesunder Ernährung und Fitness, erinnert an Termine oder weist vor dem Verlassen der Wohnung auf Kleidung hin, die für das Wetter angemessen ist.

Sie zeigt sich den Bewohnern als virtueller Assistent auf Bildschirmen in Wohnzimmer und Küche. Die Bewohner können mit ihm auf natürliche Art kommunizieren, mit Gestik oder Sprache – ähnlich wie mit einem Menschen. In einem Teilprojekt mit Bethel wird unter anderem geklärt, welche Unterstützung sich Testpersonen von der Wohnung wünschen, welche Technik ihnen nützlich erscheint und was sie ausdrücklich nicht wollen.

Teil des KogniHome-Projekts ist das „PIKSL Labors Bielefeld“ in Bethel. PIKSL steht für Personenzentrierte Interaktion und Kommunikation für ein selbstbestimmtes Leben. Das Labor ermöglicht als inklusives Angebot den Zugang zu neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Besucherinnen und Besucher des PIKSL Labors Bielefeld können sich an Forschungsstudien beteiligen und selbst beitragen, Barrieren abzubauen.

Die Kooperation von CITEC und Bethel besteht schon seit einigen Jahren. Neue Forschungsvorhaben können an die Ergebnisse früherer Projekte anknüpfen. Das Projekt Vasa („Virtuelle Assistenten und ihre soziale Akzeptanz“), ebenfalls vom BMBF gefördert, entwickelte ab 2012 den virtuellen Helfer Billie.

Ebenfalls vom BMBF gefördert, entwickelte dieses Projekt ab 2012 den virtuellen Helfer Billie. Der Avatar erscheint auf Fernseh- oder Computerbildschirmen und assistiert bei der Terminplanung und Tagesstrukturierung. Die Nutzerin oder der Nutzer sagt an, welche Verabredungen und Aktivitäten geplant werden sollen. Billie trägt die Termine in einen Kalender ein und erinnert, wenn ein Termin ansteht.

In Vasa untersuchten Wissenschaftler, welche Umgangsformen, Gesichtsausdrücke und Gesten der Avatar beherrschen muss, damit er von Seniorinnen und Senioren oder auch von Menschen mit Behinderung verstanden wird. Das Vasa-Teilprojekt „Verstanden“ widmete sich zudem der Frage der Verständigungssicherung: Wie gewährleistet der virtuelle Assistent, Fragen und Anweisungen seiner Nutzer korrekt zu erfassen und umgekehrt, dass ihn die Nutzerinnen und Nutzer verstehen?

Das Projekt „Kompass“ entwickelt von 2015 bis 2018 sozial kooperative virtuelle Assistenten als Tagesbegleiter für Menschen mit Unterstützungsbedarf. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Digitale Helfer sollen die Nutzer durch den Alltag lotsen. Dazu gehört nicht nur die Organisation von Terminen.

Die Tagesbegleiter sollen auch dazu beitragen, dass ihre Nutzer nicht sozial isoliert sind. Darum unterstützen sie die Kontaktaufnahme zu anderen Menschen per Videotelefonie oder erinnern daran, sich bei Freunden und Bekannten zu melden. Zentrales Ziel ist es, dass der virtuelle Assistent frühzeitig und einfühlsam den Zustand des Nutzers – zum Beispiel Verwirrung, Unverständnis oder Skepsis – erkennt und darauf reagiert.

Das Aussehen des Avatars lässt sich anpassen, etwa im Geschlecht oder Alter, so dass es den Wünschen der Nutzerinnen und Nutzer entspricht. Für das Projekt arbeiten CITEC und Bethel mit der Universität Duisburg-Essen und der Fachhochschule Bielefeld zusammen. Die Forscher gehen auch ethischen und juristischen Fragen nach: Wie sehr darf ein technischer Assistent eingreifen, ohne zu bevormunden?  Welche Daten darf er speichern? Welche haftungsrechtlichen Fragen ergeben sich?

An einer elektronischen Brille, die bei alltäglichen Handlungen wie beim Kochen an einzelne Arbeitsschritte erinnert, arbeitet das Projekt „Adamaas“,  gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Für das Projekt arbeiten CITEC-Forschungsgruppen mit dem Eye-Tracking-Hersteller SensoMotoric Instruments (SMI) zusammen.

In einem Display an der Brille sollen die Nutzerinnen und Nutzer direkte Unterstützung bekommen, wenn sie einen Kuchen backen, ein Fahrrad reparieren oder Yoga-Übungen machen. Das System erfasst noch während der Handlung, womit der Nutzer oder die Nutzerin Probleme hat und zeigt an, wie die Handlung fortgesetzt werden kann. Dafür erscheinen Texte, Bilder und ein virtueller Assistent im Display.

Zielgruppe der neuen Brille sind Seniorinnen und Senioren mit leichter Demenz und Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Das System soll sie auch in die Lage versetzen, am regulären Arbeitsmarkt teilzuhaben. Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel gehören mit den Stiftungsbereichen Altenhilfe und proWerk zu den Partnern des Projekts. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Bereiche planen, wie sich Konzepte zur Handlungsassistenz auf die Brille übertragen lassen, mit. Zudem wird mit freiwilligen Probandinnen und Probanden getestet, wie alltagstauglich die Brille ist.

Schon ein früheres CITEC-Projekt widmete sich der Beobachtung, dass Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen sich oft nicht an die korrekte Abfolge alltäglicher Routinen erinnern. Oft irritieren schon kleine Ablenkungen so, dass eine Person nicht mehr weiß, was als Nächstes zu tun ist. Gewöhnlich betreuen Pflegekräfte betroffene Menschen bei solchen Alltagsaufgaben, obwohl diese körperlich imstande wären, die Tätigkeiten selbst auszuführen.

Das Projekt „Taped“ unterstützte Versuchspersonen unter anderem beim Zähneputzen. Der Name steht für „Task Assistance for Persons with Cognitive Disabilities“ (Assistenz-Technologie im Alltag für Menschen mit kognitiven Behinderungen). Ein „intelligenter“ Waschtisch beobachtet das Zähneputzen über Sensoren und Kameras und gibt gezielte Hinweise. Stellt das System beispielsweise fest, dass die Person die Zahnbürste ohne Zahnpasta zum Mund führt, gibt es akustisch und visuell den Hinweis „Zahnpasta nehmen“.

 

Die eigens konstruierte 3D-Trainingsumgebung „OctaVis“ versetzt ihre Nutzer in einen virtuellen Supermarkt. Sie trainieren in diesem Supermarkt ihr Gehirn, indem sie sich Waren auf einem Einkaufszettel merken und diese einsammeln sollen. Zielgruppe sind Menschen mit einem Hirnschaden, deren Gedächtnis, räumliche Orientierung oder visuelle Wahrnehmung zum Beispiel infolge eines Schlaganfalls gestört ist. Zwischen 2009 und 2013 entwickelten CITEC-Forscherinnen und -Forscher das System und erprobten es im Evangelischen Krankenhaus Bielefeld in Bethel. OctaVis stammt aus dem Projekt CITmed („Cognitive Interaction Technology for Medicine“, Kognitive Interaktionstechnologie in der Medizin).